Markus Vanza (60) arbeitet heute selbständig in den Bereichen Interims-, Konflikt- und Projektmanagement. Er verfügt über knapp 20 Jahre Praxiserfahrung als FSM-zertifizierter Mediator und Mediationssupervisor sowie einige Jahre als InnerCoach AIP. Markus Vanza bringt viel Erfahrung mit in den Bereichen Geschäftsleitung/Leadership und
Projektmanagement. Im Nebenamt ist er als stellvertretende Ombudsperson des Kantons Zug (seit 2019 – gewählt bis 2026) sowie der Stadt Luzern (seit 2022) tätig.
Konfliktklärung auf Augenhöhe (Gastblog)
Mediatives Handeln ist omnipräsent. Denn wir alle treffen in unserem Kulturkreis tagtäglich situativ für uns und andere bewusste oder unbewusste Entscheidungen. Kompromisse schmieden lernen Erwachsene ihren Nachwuchs bereits von Kindsbeinen an. Sie gehören zur persönlichen Entwicklung. Dieser Kurzbeitrag widmet sich der konsensorientierten Klärung sozialer Konflikte handelnder Menschen in der Arbeitswelt/Wirtschaft.
Persönlicher Trigger für Mediation
Eine ratsuchende Mitarbeiterin brachte mich vor vielen Jahren an meine persönlichen Grenzen als coachender Vorgesetzter. Meinem damaligen Werkzeugkasten als Führungsperson fehlte schlicht das passende Tool und entfachte in mir das Interesse –und später das Feuer – für die Mediation. Im Rückblick erwies sich diese Grenzerfahrung als wahrer Glücksfall.
Ausbildung und Mediationstätigkeit schärfte meinen Blick für verschiedene Verantwortlichkeiten (Verfahrens-, Inhaltsebene). Ich entwickelte ein umfassenderes Verständnis für das Erkennen von Anliegen, Interessen und Bedürfnisse, unterschiedlicher Werte und Haltungen anstelle festgefahrener Positionen. Mediatives Denken sowie Handeln verbindet und ist letztlich autonomiestärkend!
Als homo mediator festigte ich mein Gespür für Selbstwahrnehmung sowie Intuition mit dem Ergebnis einer humanistischen und authentischen Lebensart. Dabei fördert ein partnerschaftlicher Kommunikationsstil einen konstruktive(re)n Umgang mit Konflikten. Es geht letztlich in der Mediationstätigkeit darum, den Fokus auf das Veränderbare – und nicht bloss um eine Annäherung – in einer konfliktären Situation auszurichten.
Grundformen der Konfliktregulierung
In Organisationen unterscheiden wir drei Grundformen der Konfliktregulierung, nämlich Macht – Regeln – Vermittlung. Letzteres – dazu gehört Mediation – berücksichtigt am meisten die unterschiedlichen Bedürfnisse der Betroffenen. Dies im Gegensatz zur autoritären, direktiven Machtausübung. Kontextabhängig bewähren sich die Grundformen der Konfliktregulierung.
Mediation als konstruktiv, lösungsorientiertes Vermittlungsverfahren ist inzwischen auch in der Arbeitswelt etabliert. Es weist verschiedene wichtige Gemeinsamkeiten zum mediativen Handeln auf wie Fairness, Sachlichkeit, Kooperation, gegenseitiges Verständnis, Zukunfts- und Ressourcenorientierung, Akzeptanz von Unterschiedlichkeiten, Eigenverantwortung und Autonomie der Beteiligten.
Mediationsverfahren sind für verfahrene, verhärtete Situationen geeignet, wenn sich die Direktbeteiligten im Kreis drehen oder der Konflikt weiter zu eskalieren droht. Typische Anzeichen sind verfestigte Standpunkte, Polarisierung oder verlorene Empathie. Wenn der anhaltende Konflikt zwischen Menschen von der Sach- auf die Beziehungsebene (Angriffe auf die Person im Fokus) verrückt, wirken die Direktbeteiligten in ihrer Konfliktsituation gefangen. Auf dieser Konfliktebene leistet Mediation wertvolle Unterstützung von aussen.
Systemtypische Konflikte in Wirtschaft und Arbeitswelt
Zu klassischen Konflikten im Wirtschaftskontext gehören etwa Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und/oder Verbänden/Sozialpartnern, mit öffentlichen Verwaltungen, in Versicherungsfällen oder in Verbindung mit Verbandsrecht. Des Weiteren sind stark divergierende Positionen im Zusammenhang mit Gründung, Umwandlung, Sanierung oder Übernahme von Unternehmen verbreitet. Eine spezielle Konstellation ergibt sich bei der Unternehmensnachfolge – insbesondere bei Familienunternehmen (vgl. Abschnitt Besondere Herausforderungen bei Nachfolgeregelung in Familienunternehmen).
Neben den vorgenannten externen können auch betriebsinterne Spannungsfelder auftreten, beispielsweise zwischen Mitarbeitenden, innerhalb des oder zwischen Teams, Abteilungen/Bereichen, auf der Führungsebene, im Zusammenhang mit Umstrukturierungs-/Veränderungsprozessen, Fusionen oder zwischen Vorgesetzten/Mitarbeitenden. Allen Konflikten gemeinsam sind negative Auswirkungen auf die Produktivität, Rentabilität, Betriebskultur, Fluktuation und den Wissenstransfer.
Eigenverantwortung und Konfliktfähigkeit
Kein sozialer Konflikt ohne vorgängige, anhaltende oder aktuelle Kommunikationsstörung! Die Störung wird subjektiv erlebt und beeinträchtigt das eigene Verhalten und Wohlbefinden. Die persönliche Wahrnehmung ist in diesem Kontext wesentlich eingeschränkt.
Ein professionelles Mediationsverfahren sorgt für einen gemeinsamen Verständigungsraum. Die Medianden («Konfliktpartner») bleiben in ihren Themen eigenverantwortlich; die Mediationsperson moderiert und strukturiert das Gespräch allparteilich ohne Entscheidungsfunktion auf Inhalte und Lösungsoptionen. Der/die Verfahrensleitende untersteht der umfassenden Schweigepflicht – etwa auch in späteren Gerichtsverfahren.
Im Gegensatz zu delegierten Konfliktregelungen (Anweisungen Vorgesetzte, Rechtsmittelverfahren) baut die Mediation auf Eigenverantwortung, Lösungsorientierung und fördert die Konfliktfähigkeit «in eigener Sache». Zentral dabei sind einerseits, sich persönlich für die eigenen Anliegen, Bedürfnisse sowie Interessen einzusetzen und andererseits die Bereitschaft zur Verständigung. Der Schlüssel liegt darin, die hinter den hinlänglich deklarierten Positionen oder Anschuldigungen verborgene eigene Anliegen zu erkennen und zu benennen. Denn die Tür der Erkenntnis geht nur von innen auf! Die Mediationsperson begleitet und unterstützt die Wahrnehmung der verschiedenen Perspektiven. Er oder sie versteht Anschuldigungen als Wegweiser zur konsensualen Lösungsfindung. Konsens im «eigenen» Konflikt bedeutet für alle Beteiligten, aktiv Verantwortung für eine gelingende Umsetzung der partizipativ ausgehandelten Lösung zu übernehmen. Der Konsens steht somit über dem Kompromiss (= kleinster gemeinsamer Nenner), welchen wir beispielsweise aus der hiesigen Politik kennen.
Kommunikation und Emotionen
Ein Grossteil der Kommunikation betrifft die Beziehungsebene. Kommunikation auf der Sachebene umfasst nur rund zehn Prozent unserer Wahrnehmung. Neben dem Sachinhalt geben wir gleichzeitig viel über uns selbst (Selbstoffenbarung), unsere Einschätzung zum Gegenüber (Beziehung) und Vorstellungen (Appell) preis. Letztlich entscheidet unser Verhalten über die eigene Glaubwürdigkeit.
Emotionen gehören zum Leben; sie liefern entscheidende Hinweise, ob Bedürfnisse und Interessen befriedigt sind oder nicht. Das Bewusstsein für die eigenen – angenehm und unangenehm empfundenen – Emotionen ist die Voraussetzung, um Emotionen bei anderen wahrzunehmen. Emotionen verbinden Körper und Geist. Sie sind ein wichtiger Indikator für Kommunikation und Gestaltung wechselseitiger Beziehungen.
Die menschlichen Bedürfnisse orientieren sich kulturunabhängig an Bindung/Beziehung, Sicherheit und Entwicklung. Unsere Emotionen weisen auf relevante Grundbedürfnisse hin. Unser Gedächtnis speichert alle wesentlichen Lebensereignisse als Emotionen ab und beeinflusst die Bewertung neuer Situationen. Lernprozesse sind daher sowohl auf kognitiver als auch emotionaler Ebene verankert.
Nutzen und Grenzen der Mediation
Mediative Konfliktklärung/Mediation baut auf Kooperation, Flexibilität und Individualität, Schadensminderung, Vertraulichkeit, Konsens und Nachhaltigkeit. Elementar sind dabei ein Dialog der Anerkennung, eine gestärkte Zusammenarbeit und ganz ausgeprägt Wahrnehmung der Eigenverantwortung. Angestrebt werden mit den Konfliktpartnern interessenorientierte Win-Win-Lösungen unter Anwendung eines ganzheitlichen Ansatzes (Sach-, Beziehungsebene).
Im Dialog oder über die Vermittlung gelingt es, die Sichtweise, Zwänge und Interessen des Konfliktpartners zu verstehen (Perspektivenwechsel) und im eigenen Vorgehen zu berücksichtigen. Umgekehrt wächst die Bereitschaft, Verantwortung für den eigenen Konfliktanteil zu übernehmen.
Das Gelingenspotenzial bei Mediationen – freiwillig oder angeordnet – liegt bei rund 80 %. Eine Konfliktklärung steht regelmässig auch am Anfang eines nachfolgenden Transformationsprozesses. Denn nicht selten resultieren aus mediativen Konfliktklärungen anschliessend wertvolle Entwicklungsprozesse auf persönlicher und/oder institutioneller Ebene, bspw. im Bereich Personalentwicklung, Qualitäts-/Risikomanagement oder Sozialberatung.
Mediationen weisen gegenüber Rechtsmittelverfahren markante Vorteile hinsichtlich direkter und indirekter Kosten, Zeit und Ressourcen sowie Erhaltung von Beziehungen auf. In Zeiten von New Work-Bestrebungen und verbreitet Fachkräftemangel wiegen unnötige Konfliktkosten für Unternehmen schwer.
Mediation als zukunftsgerichtetes, strukturiertes Vermittlungsverfahren stösst an ihre Grenzen, wenn einzelne Konfliktpartner sich nicht persönlich einbringen können. Oder dann, wenn anhaltend kein Funke für ein Lösungsorientierung erkennbar ist, wenn letztlich der gemeinsame Absturz («Scherbenhaufen») das Ergebnis sein soll. Hier erfordert es rechtzeitig einen Machteingriff der Führung.
Besondere Herausforderungen bei Nachfolgeregelung in Familienunternehmen
Im Jahre 2016 befanden sich rund 75 % der hiesigen Firmen in Familienbesitz. Das Family Business lässt sich in folgende vier Governance Bereiche gliedern: Family, Business, Ownership und Wealth. Neben den klassischen Führungsdisziplinen birgt der Bereich Family besondere, zumeist emotionale Herausforderungen. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang schwelende Konflikte, Fragen zur Gerechtigkeit, Organisation der Familie oder potenzielle Nachkommen für die Weiterführung der
Unternehmung. Weitere Klippen können ein unterschiedliches Rollenverständnis und/oder Auffassung über Teilhabe innerhalb der Organisation sein. Im Zuge des Family Governance Prozesses leistet Mediation einen wesentlichen Beitrag zur Konfliktreduktion. Denn aus meiner Praxiserfahrung steht die Beziehungsebene regelmässig über der Sachebene. Klare Vorstellungen/Zielsetzungen und schliesslich ein verbindliches Commitment aller Beteiligten über die unternehmerische Zukunft sind die Voraussetzungen für eine anschliessend tragfähige Umsetzung. Bewährt hat sich in diesem Kontext eine interdisziplinäre Prozessbegleitung.
Fazit und Empfehlungen
Vermittlungsverfahren wie Mediation gehen im Organisationskontext am meisten auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Emotionen der Betroffenen ein. Mediatives Denken und Handeln verbindet, berücksichtigt die verschiedenen Verantwortlichkeiten und legt den Fokus auf das Veränderbare. Die Bearbeitung sozialer Konflikte ermöglicht daher im Mediationsverfahren den «Konfliktpartnern» einen grossen Gestaltungs-/Verhandlungsspielraum und fördert gleichzeitig deren Konfliktfähigkeit; es weist gegenüber Rechtsmittelverfahren markante Ressourcen-Vorteile sowie die Erhaltung von Beziehungen auf.
Nicht selten stehen soziale Konflikte in Organisationen auch am Anfang eines nachfolgenden Transformations-/Entwicklungsprozesses. Entscheidend bleibt dabei stets unser Verhalten über die eigene Glaubwürdigkeit.
Aus meiner Erfahrung erachte ich primär eine gute Grundlage auf der Beziehungsebene als wesentliche Gelingensbedingung gerade bei einer Nachfolgeregelung in Familienunternehmen. Wird den emotionalen Herausforderungen zu Prozessbeginn zu wenig Beachtung geschenkt, so erschwert oder verunmöglicht dies einen konstruktiven Fortgang. Mediation leistet zu Beginn des Family Governance Prozesses einen wesentlichen Beitrag zur Klärung individueller Vorstellungen über die Zielsetzungen aller Beteiligten über die unternehmerische Zukunft und deren tragfähige Umsetzung. Eine interdisziplinäre Prozessbegleitung, beispielsweise mit einer Unternehmens-/Rechtsberatung zu organisatorischen, steuerlichen, finanziellen Fragen hat sich in Praxis oft bewährt.
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